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Iwan Wyrypajews “Sonnenlinie” an der Zürcher Winkelwiese

Die schwarze Komödie "Sonnenlinie" von Iwan Wyrypajew hatte am 20. Januar 2018 an der Zürcher Winkelwiese Premiere. Es spielten Samuel Streiff (l) und Jeanne Devos (r). Keystone/Ingo Höhn sda-ats

(Keystone-SDA) Eine Beziehungskiste, die krachend aus allen Fugen gerät: Davon erzählt Iwan Wyrypajews schwarze Komödie “Sonnenlinie”. Das blendend inszenierte und gespielte Stück feierte am Samstag an der Zürcher Winkelwiese die deutschsprachige Erstaufführung.

Nicht das verflixte siebte Jahr ist es, das Barbara (Jeanne Devos) und Werner (Samuel Streiff) auseinandertreibt. Ihre ganzen sieben Ehejahre sind “scheisse”, haben zu “totalem Nicht-Verstehen” geführt, wie sie einhellig feststellen. Das merken sie nun so richtig, als sie einander nach sieben Stunden Streit und Zerwürfnis früh um fünf in der Küche ihres Hauses gegenübersitzen.

“Ich verstehe nicht, hoffst du immer noch auf ein positives Ergebnis, Werner?”, fragt Barbara mit argwöhnischem Blick. Ja, das tut Werner, denn diesen Frühling soll sich alles ändern. Dann ist der Bankkredit zurückbezahlt. Und es bleibt Geld “für unser Essen, unsere Reisen und für unser Kind”. Ein Kind? Barbara ist fassungslos. “Bist du total abgedreht, solche Witze, früh um fünf?!”

Distanz und Nähe

Zur Auslegeordnung der tiefen Beziehungskrise setzt Regisseur Manuel Bürgin das verkrachte Paar an einen altarmässig aufgebauten Küchentisch, der sich später in das gemeinsame Haus verwandelt (Bühne: Luisa Beeli). Barbara und Werner sitzen weit auseinander, prallen aber in ihrer Redewut ständig mit aller Kraft aufeinander.

Distanz und Nähe bestimmen diesen sprühenden Abend der rhetorischen Feuerwerke. Der Regisseur spielt geschickt damit und hält den Abend in atemloser Bewegung. Beschuldigungen, wüsteste Beschimpfungen, sogar Fäuste fliegen hin und her. Dazwischen gibt es Versuche, sich träumend in zärtliche Gemeinsamkeiten zu versetzen. Einmal kommt es sogar zu einem langen Kuss.

Sonnenlinie überschreiten

Doch das Anschmiegen ist von kurzer Dauer. Was die beiden trennt, ist die Sonnenlinie, davon erzählt Barbara esoterisch angehaucht. Als der schlafende Werner eines Morgens von einem Strahl der aufgehenden Sonne getroffen und in zwei Hälften geteilt wurde, merkte sie: “Einen Teil liebe ich, und der andere ist für mich schwer zu ertragen.”

Um wirklich zusammenzukommen, müsste Werner diese Sonnenlinie überschreiten. “Mach einen Schritt auf mich zu, übertritt diese, scheisse nochmal, Sonnenlinie”, fordert sie Werner auf. Werner aber fragt, warum nicht sie diesen Schritt mache.

So drehen sich die beiden hoffnungslos im Kreis, verbeissen sich ineinander, stellen kompromisslos Forderungen, ohne selbst ein Entgegenkommen anzubieten. Ziele, Pläne werden erwogen, ohne ernsthaft umgesetzt zu werden. “Was willst du von mir, Werner?” Und er: “Das ist meine Frage, Barbara. Die habe ich zuerst gestellt!”

Rasante Inszenierung

“Sonnenlinie” ist an der Zürcher Winkelwiese das dritte Stück des 1974 geborenen russischen Autors Iwan Wyrypajew. Die rasante, treffsichere Inszenierung und das fabelhafte Spiel von Jeanne Devos und Samuel Streiff machen aus dem 75-minütigen Abend ein Ereignis.

Verfasser: Karl Wüst, sfd

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